16. Januar 2017

> Angemeldet hatten sich mehr Leute, als ins lauschige Wennigser Spritzenhaus passen, zwei Drittel wurden dann vom Blitzeis ferngehalten. Mit den mutig Durchgerutschten wurde es trotzdem ein prima Abend im Deistervorland, einschließlich einer Art Versuchsanordnung zu „Bachs Welt“. Denn der Gehrdener Kantor Christian Windhorst spielte in meiner Lesung aus dem Buch nicht nur epochal Passendes am Cembalo, sondern kapitelgenau maßgeschneidert auch Auszüge aus Variationenwerken von Johann Pachelbel und seinem Schüler Johann Christoph Bach, dem 1671 geborenen großen Bruder von JSB. Von dem nämlich, so meine These, stammen die Variationen der „Aria Eberlinia“, die meist dem berühmtesten der vielen Bachschen Johann Christophs zugeschrieben werden, dem 1642 geborenen Eisenacher Organisten.

Unter Windhorsts Fingern wurde offenkundig, dass der Komponist der “Eberlinia” anno 1690 der Pachelbelschen Partita „Alle Menschen müssen sterben“ aus dem Pestjahr 1683 so dicht auf den Spuren ist, formal und bis in die Chromatik hinein, dass man die gemeinsame Werkstatt hören kann. Einen fairen Prozess hat Johann Christoph, der Ohrdrufer, verdient, seit Carl Philipp der Nachwelt einredete, sein Onkel sei nur Organist und „weiter nichts“ gewesen. Dank Blitzeis werden wir den Versuch einer praktischen Beweisführung wohl sogar wiederholen können – die umtriebigen Spritzenhäusler möchten das Programm (nebst italienischem Rotwein) im Herbst auch dem Rest ihres Publikums bieten.

Eine Seitenspur der Bucharbeit hatte mich auf Nachkommen der Erfurter Bachlinie gebracht, die anno 1848 dem Hunger in die USA entflohen und sich dort zur „Bach Band“ formierten. Die Geschichte dieser Auswanderer, von Helga Brück ans Licht gebracht, habe ich für die ZEIT geschrieben. Eine ganz andere Geschichte gilt, im Magazin 128 der Berliner Philharmoniker, dem musikalischen Austausch zwischen Rußland und dem Westen in gut zwei Jahrhunderten. Und für die Opernwelt habe ich mir in Lübeck angeschaut, wie Regisseur Tilman Knabe Puccinis „Tosca“ von 1900 in den Häuserkampf der Gegenwart schickt.