Comeback nach 300 Jahren

Glanzvoll wiederentdeckt: Der Komponist Ruggiero Fedeli, der einst von Venedig nach Bayreuth, Dresden, Hannover und Kassel zog

Sie war jung, schön, klug, gebildet, unglücklich verheiratet. Sie mochte Genies, rauschende Feste und glanzvolle Opern. Sie war mithin im öden Berlin fehl am Platz, diese Sophie Charlotte. Im Januar 1705 machte sich die erkältete Gemahlin des Preußenkönigs auf den Weg zum Karneval ins geliebte Hannover, und hier bekam die 36-jährige eine Lungenentzündung, der sie am 1. Februar erlag. Zur Bestattung in Berlin wurde das Werk eines Musikers aufgeführt, den sie schon in ihren hannoverschen Jahren bewundert hatte – Ruggiero Fedeli. Der junge Georg Philipp Telemann war dabei und vergaß das Stück nie wieder.

Die Nachwelt schon. Sie hat Fedeli vergessen wie so viele. Bis zum vorigen Wochenende. Was da in der Neustädter Hof- und Stadtkirche zu hören war, konnte einem die Ohren öffen – denn auch wenn die Nachwelt vieles zu Recht vergisst, ist sie gern bequem und ungerecht. Sie konnte einen Bach 50 Jahre lang vergessen, der seinerseits schon nichts mehr von Monteverdi wusste. Nur wer sich dieser Bequemlichkeit widersetzt, wer durch die Kalkablagerungen des Mainstreams Tunnels bohrt, macht jene Funde, die uns neu inspirieren. So einer ist Lajos Rovatkay, einer der besten Kenner der Musik um 1700.

Da er auch Praktiker auf höchstem Niveau ist, kommt für ihn nicht die Sorte von Insiderkonzerten in Frage, die dann als „verdienstvoll“ abgehakt werden, ehe ein vermeintlich verkanntes Genie wieder in die Grube fährt. Für die Musik des Venezianers Fedeli, der jahrelang in Hannover wirkte, wurden acht Vokalsolisten im Festivalformat aufgeboten – die Sopranistin Monika Mauch etwa zählt zu den besten der barocken Musik überhaupt -, sekundiert vom Ensemble „la festa musicale“ und von Peter Wollny, Direktor des Leipziger Bacharchivs und eine Art Sherlock Holmes unter den Musikdetektiven.

Aus dem sonst eher spröden Genre des Einführungsvortrags machte er in der randvoll besuchten Kirche eine Spurensuche, die bis nach London führte. Dort hat Wollny eine Abschrift der großen Trauermusik aufgespürt, die Fedeli für Sophie schrieb – einst im Gepäck Georgs I. an dieThemse gebracht. Erstmals seit 312 Jahren war dies „Tandem aliquando“ nun wieder zu hören – eine Art missing link zwischen den reichen Farben und Formen des 17. Jahrhunderts und der fokussierteren Sprache des beginnenden 18. Jahrhunderts, eine ganz eigene Stimme der „vergessenen Generation“, von der Bach und Händel lernten.

Dabei stellt Fedeli sein eigenes Spätwerk für Sophie noch in den Schatten mit dem „Gloria“, das Dirigent Rovatkay ihm vorangesetzt hatte. „Wie es war im Anfang“, dieser Textteil ist so genial übermütig vertont mit swingendem basso ostinato, liegenden Vokaltönen und fast gesprochenem Textstaccato darüber, dass man aus dem Staunen so wenig herauskam wie in der gewaltigen Motette „O quam vana est“. Eine ganze Erzählung entwickelt sich da um die Vergänglichkeit, unglaublich abwechslungsreich werden Soli, Duette, Chöre verschränkt, mittendrin ein Lied vom Tod, das, pardon, ein Hit werden könnte.

Fedelis Vater hat im Markusdom wohl noch unter Monteverdis Leitung gespielt, und man hört diesen Meister oft nachklingen, aber auch die Kontrastlust des Wahlvenezianers Johann Rosenmüller. Bei aller Nähe zu früheren  Musiksprachen, auch zum Madrigal, ist Fedeli dabei ein Expressionist, ein rastloser Geist, eine Transitfigur wie im richtigen Leben: Ehe er in Kassel mit 1400 Reichstalern im Jahr zur Ruhe kam, streifte er die Höfe von Bayreuth und Dresden, eckte immer wieder an und scheint erst in Hannover halbwegs Fuß gefasst zu haben, einer der maßgeblichen Residenzen in Sachen Musik.

Dieser Schritt zu Fedelis Comeback ist also auch für die kulturelle Identität der Stadt ein Glücksfall, ohne dass man gleich die Musikgeschichte umschreiben müsste. Es kommt nicht auf große Gestalten an, sondern auf gute Musik, die mehr bietet als die Standards und Konventionen ihrer Zeit. Mit andern Worten: Neue Musik. Tatsächlich herrschte Aufbruchsstimmung bei diesem Finale der Festwoche, die das Forum Agostino Steffani mit Förderern auf die Beine  gestellt hatte. Die unterstützten mit Wein und Zwiebelkuchen auch den lebhaften Austausch hinterher. Sophie Charlotte hätte das gefallen.

Dieser Text erschien am 7.2.2017 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und ist urheberrechtlich geschützt.