„Wie kriege ich diese Energie zustande?“

Chris Kondek ist einer der besten Video-Designer des Theaters. Wir haben uns am Rand von Amsterdam getroffen, wo er Stockhausen illuminiert

Ein Gasbehälter im Stil der holländischen Neorenaissance, kreisrund, unten steinerne Bögen, oben Eisenrippen. Hinter Bäumen ist er verborgen und gar nicht so leicht zu finden, trotz seiner Größe. Längst ist aus der Industrieruine ein Kulturzentrum im Westen von Amsterdam geworden, das an diesem Maientag einem hermetischen Kolosseum ähnelt: Probe, Zutritt nur für Eingeweihte. Chris Kondek  führt mich im Halbdunkel rasch zu einem Sitz und macht mich leise auf Stockhausens berühmteste Interpretin aufmerksam: „Kathinka Pasveer ist die in der Mitte, die Anweisungen gibt. So, ich muss zurück ins control center.“ Er huscht an seinen Platz in der Reihe mit den vielen Laptops, Meister jener Bilder, die auf riesigen LED-Screens über der Bühne leuchten.

Das gewaltige Rondell aus dem 19. Jahrhundert ist wie geschaffen für das Wahnsinnsprojekt, für das Chris Kondek die Videos gestaltet, ehe er zur nächsten Produktion nach Zürich kommt. Alle sieben Tage aus Stockhausens Heptalogie Licht, komprimiert auf siebzehn Stunden. Eine unfassbare Menge Arbeit, auch für den wohl erfahrensten und namhaftesten Video-Designer im Theaterbereich. „Wir arbeiten wahnsinnig schnell, vieles passiert in den Pausen. Hier wird noch etwas für einen Anschluss, einen Lichtwechsel gebraucht, kannst du es grün oder schneller machen? Es ist wie Improvisieren auf einem Instrument, aber du musst schon viel Zeug haben, um das zu mixen.“

Wobei das nicht irgendein Zeug ist. Gerade beim Musiktheater, wo Zeitabläufe in der Partitur festgelegt sind und anders inszeniert und geprobt wird als im Sprechtheater, muss die Konzeption vorher gemacht werden. „Eine Idee dabei war in diesem Fall Max Ernst, den Stockhausen sehr liebte. Also habe ich die Collagetechnik von Ernst mit meiner verbunden, Bilder, die ein bisschen komplizierter sind, verschiedene Levels in sich haben, so wie mittelalterliche Bilder, die hinter dem Dargestellten voller Symbole sind.“ Wir unterhalten uns in der Probenpause im Vorzelt. Chris zersäbelt mit dem Holzmesser heißhungrig ein Schnitzel, ein mittelgroßer, schlanker Typ mit Brille und Keine-Zeit-zum-Rasieren-Bart, sehr jungenhaft für einen Endfünfziger, und mit der rasanten, lockeren Sprechart der New Yorker.

Er wurde an der US-Ostküste groß, in New York und Boston, von wo der Sohn eines Musicalregisseurs nach dem College ins kanadische Montreal zog: „Drei Jahre lang low budget horror movies, als zweiter Kameraassistent. Ich mochte das wirklich!“ Er lacht. Danach wollte er in New York Karriere beim Film machen, landete aber, weil ihm das zu langsam ging, in der Wooster Group, einem kleinen Experimentaltheater. „Ich war Techniker, kümmerte mich um das Licht und sollte rauskriegen, wie dieses Videozeug funktioniert. Was wir jetzt machen, war damals unmöglich. Crossfade, Überblenden von zwei Videos, dafür hätten wir Geräte für 12.000 Dollars gebraucht. Heute machen Kinder das auf ihren Phones! Dann kamen die ersten bezahlbaren Super 8 Kameras, die konnte man auf die Bühne stellen und direkt an einen Bildschirm anschließen.“

Er hat sich als Künstler gemeinsam mit der Technik entwickelt. Alles, was er, learning by doing, entdeckte, kam gleich auf die Bühne. Seine Projektionen hatten eine Helligkeit von 900 Lumen, „das ging nur bei totaler Dunkelheit, heute würde man keine Show unter 20.000 machen. Das ist ein Sprung wie von der Kerze zur Gasbeleuchtung. Und jedes Bild, das ich brauchte, war schwer zu finden. Jetzt tippe ich ein paar Suchwörter, und da ist es.“ Er sucht dabei bevorzugt nach alten Dokumentarfilmen. „Ich brauche mindestens dreißig Sekunden lange takes für meine Arbeit. Heute wird alle drei Sekunden geschnitten, da wird gar nichts mehr angeschaut.“

Einer seiner Funde ist der Kölner Karneval um 1960, schwarzweiß, eine Kapelle mit Narrenkappen spielt, und der Kontrast, die Verbindung zur Musik des Rheinländers Stockhausen ist abgründig. Und was ist mit diesem roten Kreuz, das auf allen vier Screens von oben kommt, in der Mitte anhält und genau in der Sekunde, da zwei Klarinettisten einen tiefen Liegeklang erreichen, weiter sinkt? „Das passierte in der Probe. Glücklicher Zufall. Für den Moment fehlte noch etwas. Videos haben eine Art von Energie, die sich mit der Musik verbindet, sogar wenn sie scheinbar gegen die Musik gehen. Eins-zu-eins-Übersetzungen funktionieren sowieso nicht. Feuer zum Beispiel ist im Video nicht heiß und bedrohlich, sondern kalt. Du musst überlegen, wie kriege ich diese Art von Energie zustande.“ Er greift nach dem Glas vor sich. „Schon wenn es darum geht, wie Wasser in ein Glas gefüllt wird, ist es ein Unterschied, ob von hier oder von hier gefilmt wird. Das Bild muss das Gefühl davon transportieren, nicht es abbilden. Darum geht es andauernd: Wie kann man etwas nicht so aussehen lassen, wie es aussieht. The feeling of an object.“

1999 zog Chris nach Berlin, „for love, I met a girl… Ich wollte nur zwei Jahre bleiben. Aber die Theater waren sehr interessiert an Videoexperimenten, es gab Geld vom Senat, man sagte, der Typ kommt aus New York, der weiß, was läuft. Auf einmal machte das Leben mehr Spaß, ich hatte eine größere Wohnung und viel mehr Arbeit. In New York muss man sich abstrampeln, um einen Job zu kriegen! In Berlin war alles weniger stressig.“ Ersten Berliner Produktionen folgte Alibi von Meg Stuart am Schauspiel Zürich, „mein Durchbruch in Europa“, er entwarf eigene, schräge Performances für das Berliner HAU, über die er in Kontakt mit Sebastian Baumgarten kam. Für dessen Operninszenierungen hat er zahlreiche Videodesigns gemacht, etliche in Zürich, das umstrittenste in Bayreuth: Der Röntgenfilm atmender Lungen zum Tannhäuser-Vorspiel ließ die Premierengäste nach Luft schnappen.

Aber auch das verband sich mit der Musik. „Ich sehe mich nicht als Videokünstler, sondern als einen, der im Theater arbeitet. Wie die Anschlüsse gehen, wie Dinge erscheinen und verschwinden, der Rhythmus. Ich mache nie narrative movies, damit saugt man die ganze Energie aus dem Saal. Es darf nicht so sein, dass die Zuschauer keine Minute verpassen wollen. Das Video kann rapide wechseln von atmosphärischer Ergänzung zu Infos, es transportiert Erinnerungen… Also arbeite ich mit loops, Lichtwechseln, Geschwindigkeiten.“

Hat sich seine Ästhetik geändert mit den Jahren? „Ich versuche weniger junk zu machen und Bilder mit mehr Kraft. Mit Intensität. Ich erinnere mich an einen Moment bei Peter Brook, ein Schauspieler saß nur da, drei, vier Minuten. Dann…“ Chris hebt den Zeigefinger seiner rechten Hand und lässt ihn wieder sinken. „Alle fokussierten sich darauf. So viel Energie in dieser winzigen Geste!“

So etwas inspiriert ihn, und Malerei, nicht so sehr die Videokunst in Museen und Ausstellungen. „Meistens quasidokumentarische Videos der Künstler selbst, während sie irgendwas tun, schlecht gefilmt, schlecht beleuchtet, vielleicht weil das in einem bestimmten Kontext  als persönlicher Ausdruck akzeptiert wird“, sagt er mit verhaltenem Spott. „Bei einem guten Maler frage ich mich, wie bringt der es fertig, eine Person auf die Art auf den Stuhl zu setzen mit dem Licht? Nichts passiert, aber du fragst dich dauernd, was denkt die ? Du weißt nicht, warum, es ist magisch.“

Sein Denken in Bildern will er auch als Regisseur der Züricher Uraufführung von Last Call einsetzen – bei der das Video Design mal nicht von ihm kommt, sondern von Ruth Stofer. „Sie tut mir jetzt schon leid“, sagt er und parodiert gedämpft schreiend einen Bühnentyrannen: „No, no, not good enough!“ Dabei hasst er solche Typen. Und er freut sich auf die apokalyptische Groteske, in der die Elektronik so aus der Kontrolle gerät, dass die Menschen von der Erde fliehen. Nur ein Mann und eine Frau bleiben… „Nahe Zukunft, ein bisschen wie heute, aber eine Drehung weiter.“ Ein Stück zur Weltverbesserung? „Nein, unterhaltsam! Vielleicht können wir damit ein bisschen Spaß in unsere letzten Tage bringen…“ Er lacht leise, dann verschwindet er wieder im magischen Halbdunkel des Kolosseums.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Er erschien geringfügig kürzer im MAG, dem Magazin der Oper Zürich, im Juni 2019