Die Russen kamen morgens um acht. Mit zwei Siebentonnern rollten sie vors Haus, mürrisch und wortkarg. Ich rechnete nicht mit einem wirklich beglückenden Tag. Sie nahmen unsere Wohnung auseinander, in irrem Tempo, so schnell konnten wir gar nicht gucken. Zuerst die Kisten, die aufeinander passten. Dann die Kisten, die nicht so gut aufeinander passten. Sie bauten daraus fugenlose Wälle, wie eine Feldsteinmauer. Dann folgten die Möbel. Ich wusste nicht, dass wir so viele Möbel haben, es war mir fast peinlich. Die Männer lächelten nicht, sie arbeiteten, jeder an seinem Platz.
In der Wohnung war der Schlaksige, der gut Deutsch sprach. Oben an der Treppe der Älteste, mit einem Gesicht wie aus einem Tarkowsky-Film, um den durchtrainierten Oberkörper einen Fitnessgürtel. Auf der Treppe stand der Größte, im Blaumann, wie ein großes, gleichmütiges Kind. Er nahm übers Geländer die Sachen entgegen und reichte sie weiter an zwei, die sie zum Wagen brachten – ein gedrungener Kleinerer und ein in actionfilmmäßiges Schwarz gekleideter cooler Typ. Die finale Verstauung erledigte einer, dessen mildes Lächeln ihn in dieser Runde als Melancholiker wirken ließ.
Und irgendwann kam der Boss. Der lächelte gar nicht. Er gab knappe, eisige Anweisungen, auch uns. „Woher kommen Sie?“ fragte ich ihn. „Aus Russland.“ „Das ist mir auch schon aufgefallen“, sagte ich. Er grinste. „Rostow am Don. Das liegt in der Mitte zwischen Tschetschenien und Stalingrad.“ „Herbes Pflaster“, vermutete ich. “Sie sind Musiker, oder?”, sagte er und hob die 120 Kilo schwere Steinplatte beidhändig vom Gartentisch, um sie sorgsam in Folie zu wickeln. Nach und nach lernte man einander kennen, ein bisschen. Aus den „Kunden“ hier und den „Packern“ da wurden Leute mit einem Projekt. Umzug.
Nachmittags trafen wir uns zum Entladen wieder. „Schön hier“, sagte der coole Typ und outete sich als einziger Deutscher im Team, als Ex-Punk und Freund alternativer Energiekonzepte, während meine Mitbewohnerin mit dem Tarkowsky-Mann, der nur russisch sprach, eine Arie aus „Eugen Onegin“ sang. Als die Kisten dran waren, bildeten sie im Haus eine Kette auf der Treppe und machten Witze. Sie gackerten unbändig, wie kleine Jungs. Vielleicht amüsierten sie sich über die endlose Folge von CD-Kartons oder über das Einschussloch in meiner Zimmertür. Außerdem war der Boss längst auf einer anderen Baustelle…
Die Laune stieg, die Stapel schrumpften. Am Ende schraubte der Große im Blaumann noch schnell unser Bett zusammen, und ich fand irgendwo ein Sixpack Bier, lauwarm, aber immerhin. Wir standen in der Abendsonne und rauchten, am liebsten hätte man sich an ein Lagerfeuer gesetzt. Aber sie mussten los. „Spassiwa“, sagte ich. „Paschalsta“, sagte der Schlaksige lächelnd. Wir winkten. Es muss nicht schlecht sein, wenn ein Tag mürrisch beginnt. Und nach einem Tag wie diesem findet man, es hätte auch gar nicht anders sein dürfen.