Warum ich auch Professor bin

Ab und zu schaue ich im Stellenmarkt, ob es irgendwo eine schicke kleine Professur für mich gibt. Nur zum Spaß, meist braucht man dafür ja einen Doktortitel. Außerdem haben wir schon einen Professor in der Familie, das reicht. Mein Onkel hat sich für seine Laufbahn noch richtig Mühe gegeben, eigenhändig Grabungen veranstaltet und beim Zitieren nicht geschummelt, seinetwegen begegne ich dem Professorenamt mit Respekt. Nach der Lektüre des aktuellen akademischen Stellenmarktes habe ich allerdings den Eindruck, dass Professoren nicht mehr sind, was sie mal waren.

Zunächst stieß ich durchaus auf Herausforderungen, die dem Laien imponieren. Theoretische Astroteilchenphysik, Algebra, Differentialgeometrie – die bloßen Begriffe lassen mich schon niederknien, ich weiß ja auch von Algebra nur, dass es irgendwas mit Gleichungen ist. Man findet aber auch Fachgebiete, die klingen wie gerade ausgedacht. Zum Beispiel „Verhaltensorientierte Ökonomik“ in Ulm. Es geht „um Untersuchung der Determinanten von Entscheidungen unter Unsicherheit und ihrer Auswirkungen auf Finanzdienstleistungen“ sowie die „Wirkung von Anreizen für beschränkt rationale Akteure.“

Soll dort für die Banker erforscht werden, wie sie die Kunden noch besser aufs Kreuz legen können? Wenn ja, muss das öffentlich finanziert werden? Fragt man sich als Laie. Und was sind „Temporäre Räume und Markenwelten“ in Hildesheim? Immerhin kann man damit an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst als „qualifizierte Persönlichkeit“ auch ohne Doktortitel W2-Professor werden. Es geht um den Aufbau schicker Verkaufsausstellungen. Nur wird das nobler formuliert: „Realisation unter Anwendung sensorischer, konstruktiver, raumprägender und szenografischer Mittel“.

Und weil die inszenierten Waren ja bewacht werden müssen, sind auch zwei Professuren für den Sicherheitsdienst frei. Das heißt aber, an der Hochschule Furtwangen, „Systemintegration in der Security“. Ich will mich nicht lustig machen über Leute, die gute Alarmanlagen bauen, aber braucht man dafür ein akademisches Umfeld? Wenn ja, wo bleibt die Backprofessur?

Und wollen wir Forschern trauen, die „text mining“ betreiben? Das wird jetzt an der Uni Koblenz erforscht, im Rahmen der „web science“. Mining bedeutet, dass man Texte „ohne einheitliche Datenstruktur“, „freie Formate“ also, Kolumnen wie diese, gar nicht mehr selbst liest, sondern von einer Software durchharken lässt, die dann die Info-Essenz aufbereitet. Wenn jetzt also einer im (gerade von mir erdachten) Fach „Systemintegration der Hochschulen“ eine Doktorarbeit bastelt, googelt er unter „Professur“, findet diese Kolumne, jagt sie mit 6000 weiteren Texten durch den Miner, erstellt eine verwirrende Statistik und wird sofort Juniorprofessor mit „tenure track“, wie die Aussicht auf eine lebenslange Stelle jetzt heißt.

Italiens Kellner haben das alles längst durchschaut. Sie nennen jeden zweiten Gast „dottore“. Und ich bin in Rom vor Jahren schon zum „professore“ gemacht worden. Wenn das mein Onkel wüsste.

Lektüretipp zum Thema: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/im-bildungsrausch-ist-akademisch-auch-hochwertig-12559986.html