Wenn es nur Multitasking wäre! Das kriegt ein temporär alleinerziehender Mensch ja hin, ob er will und kann oder nicht, wat mutt, dat mutt. Heißgetränke für alle, Zeitung holen, Windelwechseln, Vorlesen, vorher wenigstens einen Artikel lesen („Papa, sind das auch Kardinals?“ „Nee, Verfassungsrichter…“), gucken, ob Paul doch schon die Türklinke erreicht, duschen, dabei gucken, was Paul mit dem Föhn macht und ihm verbieten, ins Klo zu fassen, Frido erinnern, dass es Frühstück nur für Leute (oder je nach Tier des Tages Bären, Riesenhirsche, Schimpansen) gibt, die schon angezogen sind, Apfelsaft vom Boden aufwischen…
Ich beschwere und ich rühme mich nicht. Bis vor wenigen Jahrzehnten haben nur Frauen so den Tag begonnen, völlig selbstverständlich. Es ist lächerlich, wenn jetzt Männer vom Familienalltagsstress so heroisch erzählen, als würden sie Asteroiden stoppen, Steilwände bezwingen, Jets mit ausgefallenen Triebwerken notlanden und was noch so als männlich gilt. Zumal ja die „Hausfrau und Mutter“ von einst den ganzen Tag so weitermachte, während ich ab neun an den Schreibtisch darf und mich erholen: Stundenlang nur ein Thema! Und dann noch eins, bei dem man nicht ganz von vorne anfangen muss!
Was viel mehr stresst als das Multitasking, ist das Multilearning. Den Begriff habe ich mir ausgedacht, wahrscheinlich gibt es längst ein Äquivalent. Die Neologismen überschwemmen uns, und wir lernen sie. „Binge viewing“ für komatösen DVD-Konsum ist das neueste, zum Grundwortschatz durchgesintert sind bereits „shitstorm“ für majoritäres Erbrechen im Netz oder „shareholder value“ für minoritäres Absahnen in Wirklichkeit. Dann tauchen auch noch irre, alte Begriffe auf wie “Gradtagszahlen“. Muss man kennen, wenn man sich auf die Heizkostenabrechnung vorbereitet, was sich nach dem eisigen März empfiehlt.
Wo kriegt man zur Zeit Benzin für unter 1,60 Euro? Und wer legt eigentlich diese Preise fest? Man muss auch die Gebührenordnung für Kitas recherchieren, sich über Änderungen in der Umsatzbesteuerung auf dem Laufenden halten und eine neue Bankleitzahl merken, während die Post das Porto erhöht, Throne bersten, Reiche zittern, Eurozonenränder splittern; gibt es irgendeinen Bereich, in dem nicht täglich Updates fällig werden? Sogar das neue Buch mit Findus und Pettersson heißt „Findus zieht um“! Hilfe! Manchmal, ich gebe es zu, träume ich von der Kaiserzeit, und zwar der österreichischen unter Franz Joseph. 68 Jahre lang derselbe Regent. Das endete schlecht, aber welche Kontinuität!
Kontinuität bietet mir eigentlich nur das morgendliche Ritual. Es ist zwar Multitasking, aber wenigstens immer dasselbe. Ich mag es. Heißgetränke, Windelnwechseln, Vorlesen… 68 Jahre wird das allerdings nicht dauern. Voraussichtlich schon am Ostermontag kommt Paul an die Türklinke.
Der Text erschien am 30.3.13 in der HAZ und ist urheberrechtlich geschützt