Kategorie-Archiv: Blog

2. August 2024

pavese“Ein heller Garten zwischen niedrigen Mauern / aus trockenem Gras und Licht, der seine Erde bedächtig kocht…” So wie dieses triste Eckchen am Straßenschild hat sich Cesare Pavese den Garten im Gedicht “Sommer” von 1940 vielleicht nicht gedacht. Und doch ist er, 1908 geboren, 1950 sein Leben nach eigenem Willen beendend, einer von denen, die auch so ein Sträßchen aushalten. Er kennt die Traurigkeit unter der Sonne. Abgesehen davon ist Castiglione del Lago, wo vor einer Woche dieses Foto entstand, ein wunderschönes Städtchen, den Lago Trasimeno überblickend. Als wir dort herumgingen, wussten wir nicht, dass am selben Tag mit 72 Jahren Wolfgang Rihm gestorben war. Mit seiner Adresse in Karlsruhe ist es mir über die Jahre immer so gegangen, dass ich “Rihmstraße” dachte, während ich “Kriegsstrasse” las… denn so heißt sie tatsächlich. Im Mai vor zwei Jahren war Rihm “postoperativ als Rekonvaleszent” unterwegs, wie er mir schrieb, das ließ mich lange hoffen. Für ZEIT online habe ich jetzt einen Nachruf geschrieben.

Um Ethel Smyth geht es in einem Zoomgespräch, zu dem mich Sabine Bergk eingeladen hatte. Es ist die 34. Folge von “Lieder können fliegen”, einem Podcast für das zeitgenössische Lied. Nun ist zwar Requies – Meeresstille von Smyth schon 1913 komponiert, aber noch nie so gut aufgenommen worden wie jetzt mit der Altistin Lucile Richardot. Nun fehlt nur noch eine Einspielung der Originalfassung mit Orchester! Im Gespräch mit Sabine geht es auch darum, wie Ethel Smyth zur Hauptprotagonistin – neben Claude Debussy – in Flammen wurde. Wolfgang Rihm war übrigens skeptisch, was Smyths Rang als Komponistin betraf, so sehr ihr Leben ihn beeindruckte. Vieles in ihrer Musik kam ihm “recht trocken gedrechselt” vor. Aber “auch sie”, schrieb er, “fand gelegentlich zu einer natürlichen Selbstverständlichkeit des Erklingenden (wie Lili Boulanger fast immer) – etwa im relativ späten Doppelkonzert für Violine, Horn und Orchester, vielleicht vor allem im mittleren Satz. Was meinen Sie?” Gleich noch mal hören!

Noch mehr Hörtipps, alles online bei Deutschlandfunk Kultur in der Reihe “Interpretationen”:

Genie der Sensibilität. Der Komponist Simon Laks – ein diskografisches Porträt
(2024)

In weiter Ferne so nah. Aribert Reimann interpretiert Robert Schumann
(2012)

Warten, bis der Frühling kommt – Die Préludes von Frédéric Chopin
(2018)

Stephane Mallarmés Gedichte in Vertonungen von Claude Debussy und Maurice Ravel
(2022)

Näheres zu diesen Sendungen lässt sich hier im Blog finden.

7. Juni 2024

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“Aber diesmal geht es anders weiter, mit einer Art Klopfen der Töne, dann ruft Strawinsky „Rideau!“, Vorhang, legt kurz die Hände in den Schoß und sieht zu, wie sein Kompagnon taktelang nur Achtelakkorde drischt, mit beiden Händen und mit komischen Akzenten, das erinnert Chouchou an einen Tanzbären im Bois de Boulogne, und dann versteht sie alles: Wie die verrückten streitenden Vögel um den Bären herumfliegen und er sich von der Kette des Bärenführers losreißt und hinter zwei Radfahrern herläuft, die panisch in die Pedale treten, und Leute schreien, Automobile hupen, dann haut der Bär, oder ihr Papa, auch noch eine Trommel kaputt, und plötzlich schwebt von oben eine gute Fee herbei oder so etwas, die beiden Männer schlagen ein paarmal furchtbar wütend in die Tasten, gleichzeitig, dann ist Ruhe, Papa spielt etwas Ruhiges und Tiefes, allein, „sostenuto, Streicher“, sagt Strawinsky leise, Debussy bremst ab, spielt langsamer, dunkler, das Licht wechselt, man ist woanders… nicht hier…”

So zu lesen auf Seite 217 in “Flammen”, demnächst auch live zu hören einschließlich der Passagen aus Le sacre du printemps, nicht mit Debussy und Strawinsky am Klavier, sondern mit Katerina Moskaleva und Alexey Pudinov, dem Duo TWO4PIANO, mit dem zusammen ich am 15. Juni einen Nachmittag bei den Musikfestspielen Potsdam gestalte: “Tanzwut: Paris 1913″ heißt das Programm, es umfasst aber auch einige weitere Jahre und Werke, bis hin zu Ravels La valse. Das Foto oben hat übrigens Erik Satie in Debussys Wohnung in Paris gemacht, im Juni 1910.

“Oper ist Leben, sie ist Realität, und sie spricht dauernd von Realität. Sehen Sie sich doch nur um, was in der Welt passiert”, sagte Maria Agresta am Ende unseres Gesprächs während der Proben zu Verdis I vespri siciliani in Zürich. Die süditalienische Sopranistin singt die Hauptrolle der Elena in der Inszenierung von Calixto Bieito, die an diesem Sonntag Premiere hat. Ein ganz anderer Blick hinter die Kulissen öffnet sich, wenn der Inspizient des Hauses von seiner Arbeit erzählt. Felix Bierichs besondere Gabe dafür: “Ich werde ruhiger, wenn die anderen nervöser werden.”

17. Mai 2024

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Simon Laks, 1901 in Warschau geboren als Szymon Laks, hier zu sehen als etwa 63jähriger in seiner französischen Wahlheimat, ist als Komponist eine der wunderbarsten Neuentdeckungen der jüngsten Jahre, ganz besonders als bedeutender Liedkomponist. So viel gibt es über ihn zu sagen, so viel wurde – mittlerweile – von seiner Musik eingespielt, dass ich hier einfach nur auf die wohl umfänglichste Radioproduktion verweise, die bislang über ihn und seine Musik entstand. Nicht etwa in Paris, der Stadt, aus der er 1942 nach Auschwitz deportiert wurde, in die er 1945 zurückkehrte, in der er davor und danach in allen Genres komponierte und wo er 1983 starb, sondern in Berlin, wo es die Reihe “Interpretationen” bei Deutschlandfunk Kultur nach wie vor möglich macht, auch weitab vom Mainstream ganze zwei Stunden lang fokussiert Werke und Komponist*innen zu erkunden.

Das habe ich gemeinsam mit dem Laks-Pionier, dem Musikwissenschaftler, Produzenten und Herausgeber Frank Harders-Wuthenow als Studiogast getan – unterstützt von Produktionsleiterin Brid Henning und drei Sprecher*innen für die Übersetzungen der von Laks vertonten Gedichte und die autobiografischen Texte des Komponisten selbst, der auch ein ausgezeichneter Autor war. Sie werden gelesen von Rosario Bona, während Torsten Föste die  Gedichte liest; Christine Jensen übernimmt ein weiteres Zitat. Die Sendung “Genie der Sensibilität. Der Komponist Simon Laks – ein diskographisches Porträt”  (Erstausstrahlung 19. Mai, 15.05 Uhr) ist jetzt ein Jahr lang online bei Deutschlandfunk Kultur abrufbar.

Vielleicht wird auch Krystian Adam bald Lieder seines Landsmanns singen? Den 1979 geborenen polnischen Tenor, der wechselnd in Warschau und auf Sardinien lebt, traf ich in Zürich, wo er seine Lieblingspartie probt: den Orfeo von Claudio Monteverdi.

(aktualisiert am 23. Mai 2024)