> Goethes Leute haben den Text zwar nicht versteckt, aber direkt angesprungen wird man vom 150. Geburtstag des Richard Strauss auch nicht, wenn man sich auf die Website des Goetheinstituts begibt. Erstmal “Künste” anklicken, dann “Musik”, dann “Klassische Musik”, dann “Tendenzen”, und da gibt es die Abteilung “Magazin”, in der ich tatsächlich den Text fand, den ich unter dem Titel “Eigensinn und Establishment” für Goethes geschrieben habe. Wer oben rechts die britische Flagge anklickt, kann ihn auch auf Englisch lesen, er heißt dann “Self-Will and Establishment”. Den Horizont der Strauss-Rezeption wird dieser Text nicht verändern – er ist für interessierte Laien rund um den Globus geschrieben und überschaubar kurz.
Indessen würde es sich lohnen zu erkunden, wie sich unsere Wahrnehmung der vermeintlich antipodischen Zeitgenossen Strauss und Mahler in den letzten 20 Jahren gewandelt hat. Zu Gustav Mahlers 150. Geburtstag schien mir – im Essay “Der große Andere” -, dass “das Schöne an Mahler” (Dieter Schnebel forderte es 1985) für viele (wieder) interessanter würde als die von Adorno offengelegte “Gebrochenheit”. Bei Strauss scheint es genau umgekehrt zu laufen. Jahrzehntelang von der Intelligenz als irgendwie “affirmativ” und bürgerschön geschmäht und oft auch so gespielt, wird er neuerdings entdeckt als Vielschichtiger, Ironiker, als der “Uneigentliche”, den Adorno nicht verstand. So stehen sich jetzt Gustav und Richard in der Rezeption wieder so nahe wie einander vor hundertzehn Jahren, als sie so herzlich und respektvoll korrespondierten, in gegenseitiger Bewunderung auch, wie es den Gräbenziehern später gar nicht passte. Mengelberg hat beider Werke kongenial dirigiert, seinen “Don Juan” muss man gehört haben. Strauss selbst als Dirigent vor der Kamera anno 1944 ist hier zu erleben: als Eulenspiegels 80jähriger Gutsverwalter…
Noch ein “Must”: Am leuchtenden Sommermorgen habe ich im Auto (wieder mal) gehört, wie Leon Fleisher das B-Dur-Klavierkonzert von Brahms spielt, 1962, mit Szell (der auch im Strauss-Video, siehe oben, auftritt) und dem Cleveland Orchestra. Liebe, Geist, Zugriff, Konzentration, Weite, jeder Vorgang von mehreren Seiten zugleich hörbar und doch deutlich, dringlich, verbindlich, alles einen Weg schaffend und zurücklegend – es fällt schwer, daneben die meisten Pianisten nicht bloß für Klavierklimperer zu halten und überhaupt zu versuchen, Worte dafür zu finden. Außerdem fabelhaft griffige Akustik, selbst auf der mittelmäßigen Autoanlage noch plastisch: den Körper des Instruments hört man bis auf die Knochen genau. Und dann der Covernachdruck im Booklet, von einer alten LP, auf der Fleisher anno 1956 die Händelvariationen spielt: Das Gesicht zwischen Junge und Mann, kräftige dunkelrandige Brille, die schmalen Hände mit langen Fingern einander berührend wie miteinander tändelnde Tiere vorm nächsten Jagdzug, in der Rechten die ZIGARETTE, die sich hell vorm Schwarz des Jacketts abhebt, offener weißer Hemdkragen – was für herrliche Zeiten. Brahms hat ja auch geraucht… Dabei durch die Windschutzscheibe auf dem Parkplatz auf die große OBI-Reklame zu gucken, ändert dann gar nichts, so stark sind diese anderen Gegenwarten.